Ich bin gerade aus Korfu zurück. Fast 2 Wochen war ich dort und diese Insel hat mich zutiefst verzaubert. Das Licht dort scheint heller und intensiver zu sein, die Farben voller und leuchtender. Das Meer funkelt türkis bis tiefblau, ist klar, salzig und erfrischend … dann sind da noch die vielen bunten Blumen, die die Fassaden der hellen Häuser zieren, die Olivenbäume, von denen niemals einer dem anderen gleicht, die Erde, die betörend duftet, das Summen der Insekten, versteckt hinter wild wachsenden Kräutern und natürlich die Sonne, die einem bis auf die Knochen scheint und von innen heraus heilt.

Ich musste gestern an den griechischen Philosophen Platon und an sein Höhlengleichnis denken. Kennst du es vielleicht?

Ein in Ketten gelegter Gefangener befreit sich darin aus einer Höhle und gelangt nach oben, in die wahre Welt. Dort erblickt er erstmals die Dinge, die die ganze Zeit über Schatten auf seine Höhlenwand geworfen hatten. Es waren demnach nur Schatten, die er all die Jahre über hinweg, angekettet und in seinem Blick eingeschränkt, versehentlich für die Realität gehalten hatte. Beim Aufstieg aus seiner Höhle ist das Licht so hell, dass ihm die Augen schmerzvoll tränen. Und auch als er wieder in seine Höhle zurückkehrt, um seinen Freunden von seiner Entdeckung und dem Licht zu erzählen, schmerzt es ihn erneut, weil sich seine Augen erst wieder an die Dunkelheit gewöhnen müssen und er Sehnsucht nach dem Licht hat.

Auch ich fühle mich ein wenig wie der Gefangene aus dem Höhlengleichnis. Das erste, was mir an meinem ersten Tag wieder in Deutschland auffiel, waren die geraden Linien und eckigen Formen. Sie wirkten sehr unnatürlich und von Menschenhand gemacht. Das zweite war der bräunlich-grüne Grundton und das gedämpfte Licht – es war bewölkt in Berlin. Und schon vermisste ich schmerzlich das Licht auf Korfu mit seinen reichen Farben, die wie eine geheimnisvolle Frequenz die Seiten meiner Seele zum schwingen gebracht hatten. Es war unbestreitbar: Etwas tief in mir war in Resonanz mit diesem Licht. Es fühlte sich wie Heimat an, mit der ich in den Tiefen meines Unterbewusstseins, ganz so wie die Wurzeln einer Seerose, verbunden war.

Und ich fragte mich sogleich: Wenn meine Seele derart auf Formen, Farben und Licht ansprach, welches Echo wohl diese unnatürlichen, geraden, eckigen Formen und Grautöne in mir auslösen würden, die mich tagtäglich umgaben? Hochsensible werden wahrscheinlich sofort nicken, wenn sie das lesen, doch auch Normalsensible können vielleicht erahnen, das alles, was uns umgibt, Einfluss auf uns hat. Nicht umsonst erfreut uns der Anblick von Schönem, erbaut uns, wie es so treffend und wundervoll in der deutschen Sprache heißt. Warum sich also nicht immer wieder bewusst mit Schönem umgeben und immer wieder in die Natur gehen, einen Spaziergang machen, um sich wieder zu verbinden? Denn das Schöne ist wie Nahrung, die uns von Innen nährt und uns mit einer Quelle verbindet, die jenseits der Schatten liegt.

Eine weitere, vielleicht Hand in Hand gehende Erfahrung, die ich auf Korfu gemacht habe, war, völlig im Augenblick zu leben. Ich verweilte weder in der Zukunft, noch in der Vergangenheit, ich schmiedete keine Pläne (Zukunft), noch dachte ich an gemachte Erfahrungen (Vergangenheit). Ich verweilte im Hier und Jetzt, das sich zeitlos auszudehnen schien. Ich tat nichts Besonderes. Ich war einfach nur da und lebte. So banal es sich auch anhören mag, es war einfach nur Sein. Und nichts hätte weggenommen oder hinzugefügt werden müssen, es war so, wie es war, perfekt, und ich war mittendrin und unendlich dankbar und erfüllt.

Natürlich hatte ich mir mein Notizbuch mitgenommen, aber selbst dafür gab es keinen Raum, da mich das Schreiben in die Reflexion und wieder in den Kopf gebracht hätte. Doch gerade die Bewegung in den Kopf fühlte sich auf Korfu gezwungen und unnatürlich an. Ich war nicht im Kopf, ich war irgendwo in oder um meinen Körper, aber nicht in meinem Kopf. Und auch die Erwartung und Gewissheit, in Deutschland wieder in den Kopf zu wandern, war schmerzhaft wie das Hinabsteigen des Gefangenen in seine Höhle, nachdem er das Licht gesehen hatte. Nur war hier mein Kopf meine Höhle, in die ich mich wiederwillig  hineinzwängte. Auf Korfu war ich grenzenlos und gleichzeitig verbunden, und in Deutschland kehrte ich gefühlt nach einem Aufenthalt auf Downton Abbey in meine Ein-Zimmer-Wohnung zurück. Mit jeder „Pflicht“, mit jeder Planung, mit jeder Schlagzeile, mit jeder Regel, mit jedem lieblosen und unbedachten Wort, mit jedem graugestrichenen Haus …

Die Frage, die sich mir also stellte und für die ich noch immer eine Antwort suche, war: Konnte ich auch in Deutschland, wenn auch nur ab und an, wieder in das „Licht Korfus“ tauchen?

Vielleicht hast du ja deine eigene Antwort darauf?

Auf jeden Fall bin ich sehr dankbar, einmal aus meiner Höhle herausgetreten zu sein und zu sehen, dass auch eine andere Welt existiert. Und ich muss ja nicht alles aus Gewohnheit einfach so weiter machen wie bisher, ich darf etwas ändern. Ich kann beispielsweise den Konsum der Medien, die mich immer herunterziehen, auf ein Minimum beschränken (Warum müssen im Radio eigentlich stündlich Nachrichten laufen?) Ich muss nicht jedes Mal, wenn der leiseste Anflug von Langeweile naht, auf mein Handy schauen, zumal es ein unangenehmes Licht hat, das meine Laune verschlechtert.

Doch was mache ich stattdessen? Ich könnte einfach um mich sehen und mich wieder mit dem Leben verbinden. Vielleicht ist da ein Baum, eine Blume, ein Käfer, dem ich meine Aufmerksamkeit schenke und der mich wieder in eine Stille außerhalb meines Kopfes führt? Vielleicht mache ich einfach ein paar bewusste Atemzüge und erinnere mich daran, dass ich seit meiner Geburt zu atmen begonnen habe und irgendwann meinen letzten Atemzug gemacht haben werde? Vielleicht schaue ich in den Himmel und erinnere mich, dass es außer mir Größeres gibt, das mir wohl gesonnen ist. Oder vielleicht tanze ich einfach und wiege mich zu leichter Musik, um mich wieder daran zu erinnern, dass mir ein perfekt geschaffener Körper geschenkt wurde.

Oder vielleicht lächle ich einfach nur jemanden an. Nicht nur, weil ich mich an das Licht auf Korfu erinnere, sondern einfach nur so. Weil wir alle irgendwie das Gleiche durchmachen, auch wenn sich unsere Geschichten äußerlich voneinander unterscheiden. Du weist das, ich weiß das. Und manchmal ist das Leben schön. Wunderschön. Und ich bin einfach nur dankbar für mein Leben. Und wenn ich dich anlächle, dann ist es mir in diesem Augenblick bewusst, ganz einfach. Und wenn du zurück lächelst, dann erinnerst du dich vielleicht auch wieder an dieses Geheimnis … ganz einfach.